Oft unreflektiert verwendet: Der Begriff Populismus

Populismus: Wie reißerisch müssen wir schreiben?

In Utah werden Erschießungen wieder eingeführt, in Ohio 13 Polizisten freigesprochen, die mit 137 Schüssen zwei Unbewaffnete zersiebt hatten. Zeitgleich verpixelt der Sender Fox die Brüste auf Picassos 180 Millionen Dollar schweren Frauen von Algier, der Sittlichkeit wegen.

Ein Post vom ZEITmagazin auf Facebook, ein Zitat des fantastischen Roger Willemsen aus seiner Kolumne „Willemsens Jahreszeiten„, Mitte Juni 2015. Aus dem Zusammenhang gerissen, natürlich. Wie das halt so ist. Unter dem Post, einer der ersten Kommentare: „Wie populistisch“. Mehr nicht.

Hier fällt es mir erstmals richtig auf, dieses Wort, dieser Begriff Populismus. Und als ich erst einmal „darauf gepolt“ bin, sehe ich es überall: Ein Wort, das gerade in der aktuellen Flüchtlingsdebatte wieder inflationär gebraucht wird, das mal als Schimpfwort, mal als Aufhänger für einen abschätzigen Kommentar – als Kritik getarnt – daherkommt. Gerne wird das Wort „Populismus“ auch mal im Kontext Medien und Meinungsmache verwendet. Allein schon die AfD, die den Titel „rechtspopulistische Partei“ scheinbar als dauerhaften Namenszusatz trägt und die in den gestrigen Landtagswahlen ja auch nur so erfolgreich war wegen ihres populistisches Wahlkampfes. Bisschen einfach, oder?

 

Alle reden drüber, aber keiner weiß warum

Das Problem an der Sache: Die meisten, die dieses Wort nutzen, wissen gar nicht was es bedeutet. Und wenn man genau hinschaut, dann ist das auch logisch, denn es gibt keine allgemeingültige Definition von Populismus, es ist eine Art Modewort, ein Kampfbegriff – immer in Bewegung, immer anti-irgendwas. Und wenn wir mal ehrlich zu uns sind: In Zeiten von Selbstdarstellung via Blogs und Social Media, von Klickoptimierung und einer Gier nach immer größeren Reichweiten… Sind wir nicht alle auf mehr oder weniger populistische Schlagzeilen angewiesen? Also: wie dosiert man „Populismus“ richtig?

Eine Kurzrecherche im Netz ergibt: Der Begriff Populismus ist schwer zu fassen. In der Wissenschaft ist man sich einig: Die eine Definition gibt es nicht. Einige behaupten sogar, es könne sie gar nicht geben, denn der Begriff sei für eine exakte Erforschung unbrauchbar geworden – eben weil er so oft und so schwammig benutzt wird. In den Medien, in der Politik und eben auch in den öffentlichen Diskursen zum Beispiel in den sozialen Netzwerken. Trotzdem gibt es ein paar bekannte Beispiele für Kurzdefinitionen.

 

Populismus – was ist das eigentlich?

Auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es: „P. bezeichnet eine Politik, die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische Probleme anbietet.“

Kurze Definitionen schön und gut, nur hat man es sich hier wohl ein bisschen zu leicht gemacht. Andere Versuche jedenfalls bieten mehr: „Populism is an appeal to ,the people’ against both the established structure of power and the dominant ideas and values of the society“, sagt die britische Politologin Margaret Canovan.

Wikipedia macht es noch ein bisschen länger: „Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Eliten und Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense), Polarisierung, Personalisierung und Moralisierung. Populismus betont den Gegensatz zwischen dem „Volk“ und der „Elite“ und nimmt dabei in Anspruch auf der Seite des einfachen Volkes zu stehen.“

Hauptsache dagegen?

Okay, also auf jeden Fall anti. Scheint ein wichtiger Punkt zu sein. Wer jetzt weiter liest, der sieht sich mit deutlich längeren Definitionen konfrontiert und kommt ganz schnell zu dem Punkt, an dem es um Rechts- bzw. Linkspopulismus geht oder um die Beziehung zwischen Medien und Populismus, zu den vielfältigen Rollen, die der Begriff in unserer Gesellschaft einnimmt. Diskutiert werden unter anderem die Definitions-Versuche von Politologe Frank Decker oder seinem niederländischen Kollegen Koen Vossen, oder auch – speziell in Bezug auf Populismus in den Medien – Thomas Meyer, der sich aber auch an den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Begriffs abarbeitet.

 

Unreflektiert, schwammig, leer: Wenn ein Begriff sich selbst infrage stellt

Was können wir jetzt daraus ableiten? Nicht viel. Als populistisch werden einfache, einseitige Betrachtungen aufgefasst, obwohl das ja nun wirklich nicht den Kern der Debatte trifft. Ist aber im Grunde auch egal, denn dieser Begriff wird eben schnell mal hervorgeholt, um sich hier und da zu positionieren, um Kritik zu üben, um zu sagen „ich bin dagegen“.

Der Stempel „populistisch“ kann offenbar jeden treffen,  er oder sie muss sich nur zu einem Thema äußern, das polarisiert. Denn dann gibt es immer jemanden, der „anti“ ist. So traf es beim Thema Griechenlandkrise Dieter Nuhr, der sich auf Twitter einen Scherz erlaubte. Kam halt nicht bei allen so an.

Sofort hagelte es Vorwürfe: populistisch, nationalistisch, zynisch, menschenverachtend. Hier wurde so wild mit leeren Worten und mehrdeutigen Formulierungen um sich geworfen, dass man kaum noch mitkam. So sehr, dass sich auch andere öffentliche Personen dazu verleiten ließen, darauf anzuspringen. Solche, die die Stimmung weiter aufheizten wie zum Beispiel der Satiriker Jan Böhmermann und solche, die versuchten das Chaos ein wenig zu ordnen.

Der (Mit-)Leser darf sich fragen, ob die unreflektierte Nutzung von politischen Begriffen die jeweilige Debatte wirklich nach vorne bringt. Gerade weil heute dank der sozialen Netzwerke jeder in diese Debatten einsteigen kann, wird der Kern und oftmals auch der Sinn verfälscht und die Stimmung dadurch nochmals künstlich aufgeheizt. So wird die Nutzung des Populismus-Stempels ad absurdum geführt, denn der Vorwurf ist genauso leer und missverständlich wie der kritisierte Ausspruch.

 

Klartext? Vorsicht, das könnte schon wieder populistisch klingen!

Zurück zu dem Eingangs-Zitat des ZEITmagazins, zu Utah und Ohio, zu den „zersiebten Unbewaffneten“ und den Brüsten. Offenbar ist nicht nur mir dieser Text ins Auge gesprungen, sondern auch anderen. Er hat etwas ausgelöst. Um sich dann aber knallhart davon abzusetzen, um zu sagen „na dieses Niveau ist ja dem Kontext nicht angemessen“, dafür wird nun der Begriff hervorgeholt, von dem niemand ganz genau weiß, was er bedeutet: „Wie populistisch“. Na dann.

Man könnte genauso gut sagen: „Krasser Text, krasser Inhalt, hat bei mir funktioniert. Ich bin hängengeblieben.“ Verschweigen, oder jedenfalls nicht direkt sagen, würde man dann sogar: „Ich habe auf die ausgewählten Schlagworte reagiert.“ Und der Redakteur, der dahintersteckt, könnte sich denken „Guter Job“. Ist ja auch nicht umsonst eine Form der politischen Rhetorik. Aber das wäre ja zu einfach. Nein, der Redakteur hat mit unlauteren, nämlich „populistischen“ Mitteln gearbeitet. Und das gehört bestraft. Zumindest im Kommentarbereich. Und mit diesem Kommentar kann man zudem noch zwei Botschaften nach draußen senden, nämlich „Ich benutze ein Fremdwort im politischen Kontext“ und „Ich bin nicht wie ihr, ich bin besser“.

Solange die Nachfrage da ist, also die reißerischen Überschriften und Bilder geklickt werden, so lange wird es sie geben.

 

Und welche Artikel klickst du?

In Zeiten von Klickoptimierung und der Jagd nach immer mehr Reichweite können wir uns kaum dagegen wehren, dass die Überschriften „populistischer“ werden. Entweder man liest die entsprechenden Studien oder aber man fragt sich einfach selbst: Welche Artikel klickst du denn? Die mit den 08/15 Überschriften? Eben. Der Witz ist doch, dass nur diejenigen Leser ihren Populismus-Vorwurf an der entsprechenden Stelle loswerden können, die den Artikel gelesen haben.

Als Texter – oder eben auch als Journalisten – haben wir ein gewisses Spektrum, in dem wir uns bewegen. Es reicht von Fakten, korrekt und informativ bis hin zu „… was dann passiert, ist einfach unglaublich!“. Doch was, wenn ‚der Leser‘ gar nicht interessiert ist an korrekt und informativ? Was ist, wenn alles, was nicht reißerisch genug ist, durchs Raster fällt? Wenn alles, was geklickt wird, eben Signalworte, Schimpfworte, Flüche, extreme Übertreibungen und schockierende Aussagen sind? Dann können wir immer noch entscheiden, wie wir schreiben. Für unser Gewissen. Oder eben für Reichweite. Und uns dann mit den Vorwürfen Clickbaiting und Populismus auseinandersetzen. Das machen die meisten. Auch die, von denen man etwas anderes erwartet hatte.

Der Mechanismus ist im Grunde ganz einfach: Solange die Nachfrage da ist, also die reißerischen Überschriften und Bilder geklickt werden, so lange wird es sie geben. Und jeder, der im Kommentarbereich seinen Populismus-Vorwurf platziert, sorgt für zusätzliche Reichweite und bestätigt somit den Autor, der da am Werk war.

 

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Wie viel Clickbait ist okay? Wo fängt Populismus an? Und geht es auch ohne?

Bild: Public Domain. geralt, Pixabay

 

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